In diesem Interview spricht Arina Man, CEO der K2G AG, mit Dr. Jürgen Cramer, dem ehemaligen Geschäftsführer der Sparkassen Direktversicherung, über die größten technologischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte, Strategien zur Gewinnung junger Kunden und die Zukunft der Versicherungsbranche. Besonders im Fokus: die Rolle von (Gen)AI und welche Auswirkungen diese Technologie in den kommenden Jahren haben wird.
Arina Man: Über 28 Jahre prägten Sie die Sparkassen Direktversicherung. Welche großen technologischen Veränderungen haben Sie in dieser Zeit erlebt?
Dr. Jürgen Cramer: Die wichtigste sicherlich: das Internet. Die S-Direkt war ja 1996 gegründet wurden – also zwei Jahre nach Amazon und zwei Jahre vor Google. Wir haben damals natürlich bereits einen Internetauftritt geschaffen - sehr schnell auch mit einer Online-Antragsstrecke. Dazu gehörte auch die frühzeitige Reservierung attraktiver Domains, wie beispielsweise die Domain autoversicherung.de, die heute noch als Vergleichsportal genutzt wird.
In dieser Frühphase des Internets wurde zwar behauptet, dass man im Internet nie Versicherung verkaufen könne. Dies war aber eine ähnlich naive Einschätzung wie viele Jahre zuvor die von Kaiser Wilhelm, der auf die Frage nach der Zukunft des Automobils geantwortet haben soll: „Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Zu den wichtigen Technologie-Trends zählt dann natürlich auch das Cloud Computing. Die alte Frage nach „Make or Buy“ bei der Software-Entwicklung ist aus meiner Sicht nach wie vor nicht eindeutig zu beantworten. Sehr spannend wird nun natürlich in der Zukunft auch das Thema der (Gen)AI sein.
Arina Man: Welche Strategien halten Sie für entscheidend, um junge Kunden für Versicherungen zu gewinnen?
Dr. Jürgen Cramer: Zunächst einmal muss man feststellen, dass jüngere Kunden nicht zwingend auch eine höhere Online-Affinität beim Einkaufen haben. So sollen beispielsweise jüngere Kunden eher Reisebüros für die Urlaubsbuchung nutzen als ältere Kunden, die eher online buchen. Erstaunlich, nicht wahr? Besonders „flippig“ muss man auch nicht auftreten, genauer gesagt, sollte man nicht auftreten. Haben manche Anbieter versucht, sind damit aber gescheitert.
Denn auch junge Kunden erwarten Seriosität von einem Versicherer. Ob also Facebook, Instagram, TikTok oder ähnliche Kanäle für den Versicherungsvertrieb geeignet sind, ist grundsätzlich skeptisch zu sehen. Das Inhaltsniveau auf diesen Kanälen entspricht eher den Gesprächen auf Gartenpartys. Und wer will dort schon über Versicherungen sprechen? Ein wirklich erfolgreicher Case ist mir daher auch nicht bekannt. Punktuelle Erfolge sind damit natürlich nicht ausgeschlossen. Zudem gilt selbstverständlich, dass das Kundenbedürfnis nach Convenience abgedeckt werden muss.
Das ist gewissermaßen „conditio sine qua non“ - in allen Altersklassen, bei den jungen Segmenten aber vielleicht noch eher. Im Übrigen gilt es, zielgruppenrelevante Produkte zu identifizieren und dann in dem entsprechenden Marketing-Mix anzubieten. Dies bedeutet natürlich - in all seiner Banalität -, dass Risiko-Lebensversicherungen nicht den Über-90-jährigen angeboten werden können und Gebäudeversicherungen nicht jungen Kunden, die noch keine Wohneigentümer sind.
Arina Man: Sie führten einen frühen und erfolgreichen Direktversicherer. Welche Faktoren sind Ihrer Erfahrung nach entscheidend für den Erfolg in der Versicherungswirtschaft?
Dr. Jürgen Cramer: In der Immobilienwirtschaft heißt es immer „Lage, Lage, Lage“. Im Vertrieb, und damit auch Versicherungsvertrieb, könnte man von „Marke, Marke, Marke“ sprechen. Ohne eine starke Marke als Vertrauensanker (gerade bei Versicherungen und gerade im Internet- bzw. Direktvertrieb) ist Vertrieb schwierig und teuer. Hinzukommen muss noch ein sehr guter Service. Und wenn man dann eben mit Marke und Service auftritt, muss man auch nicht auf „billig, billig, billig“ machen.
Viele Direktversicherer sind in der Vergangenheit gescheitert, weil sie als No name auftraten und dann auch noch glaubten, der Kunde sei mit „Pure play Internet“ zufrieden zu stellen. Ein exzellentes Kostenmanagement gehört natürlich ebenso zu einem erfolgreichen Auftritt. Denn am Ende des Tages muss der Direktversicherer – auch wenn er eine starke Marke und exzellenten Kundenservice mitbringt – dem Kunden auch ein attraktives Preisniveau bieten können.
Arina Man: Welche technologischen Entwicklungen werden die Versicherungswirtschaft in den nächsten 3 Jahren am stärksten verändern?
Dr. Jürgen Cramer: (Gen)AI ist zwar im Moment nach meiner Wahrnehmung vielleicht gerade kurz hinter dem „Peak of Inflated Expectations“ im Gartnerschen Hype Cycle, aber hier sehe ich - gerade in Richtung Kostenmanagement bei Kundenservice-Fragen im weitesten Sinne (inklusive der Schadenabwicklung) - das größte Potenzial.
Arina Man: Sie haben sich nicht nur inhaltlich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt, sondern sie auch ganz konkret angewendet - unter anderem mit K2G-Technologie. Was sind Ihre Haupterkenntnisse?
Dr. Jürgen Cramer: Je nach Ausgangslage und Anwendungsfeld sind durch (Gen)AI eher auf inkrementellem als auf disruptivem Wege leichte bis substantielle Verbesserungen zu erreichen. Eine der größten Herausforderungen bei AI (hier nicht GenAI mit Blick auf das oben angesprochene Kostenmanagement) ist die Frage der Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit, aber auch die Stabilität der Ergebnisse. Das ist mit Blick auf die Entscheidungsträger relevant, aber auch von aufsichtsrechtlicher Bedeutung. Wie sagt der Statistiker so schön: „Korrelation ist keine Kausalität“. Und der berühmte „gesunde Menschenverstand“ wird eben nach wie vor gebraucht. Ist ja auch ein Stück beruhigend. 😉